Inklusion Vom Traum, etwas Einzigartiges zu machen

Drei Jahre lang hat das Team um Nils Rottgardt und Esther Siegrist an dem inklusiven Filmprojekt „Die Götter müssen Klempner sein“ gearbeitet. Freitag geht in der Kulturfabrik der Vorhang auf.

Inklusion: Vom Traum, etwas Einzigartiges zu machen
Foto: Leib+Seele

Jede Geschichte nimmt irgendwann, irgendwo ihren Anfang: sei es unter der Dusche oder im Auto. Einige Ideen entstehen aber auch bei lockeren Tischgesprächen — so wie das inklusive Filmprojekt „Die Götter müssen Klempner sein“ von Nils Rottgardt und Esther Siegrist, bei dem fast ausschließlich Schauspieler mit Behinderungen mitspielen.

Inklusion: Vom Traum, etwas Einzigartiges zu machen
Foto: Leib+Seele

In Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Krefeld haben sie seit über drei Jahren an ihrem Projekt, das in der Samtweberei gedreht wurde, gearbeitet. Am Freitag, 16. Dezember, zeigen sie nun das Ergebnis ihrer Arbeit in der Kulturfabrik. Wie die beiden Produzenten auf die Idee gekommen sind, den Film umzusetzen, was sie sich von ihrem Werk erhoffen und welche Auswirkungen es auf die Bewohner der Lebenshilfe hatte, haben sie der WZ erzählt.

Drei Jahre haben Sie an Ihrem Projekt gearbeitet, am Freitag ist es endlich soweit — der Film wird der Öffentlichkeit präsentiert. Sind Sie nervös?

Nils Rottgardt: Wohl eher gestresst. (lacht)

Esther Siegrist: Es gibt noch bis Freitag so viel zu tun, da haben wir gar keine Zeit, nervös zu sein.

Um was geht es in dem Film?

Rottgardt: Es geht um ganz alltägliche Gedanken, Gefühle, Träume und Ängste, um Leben und Tod. Der Film verschwimmt zwischen Realitäts- und Fantasieebene — der Welt der griechischen Götter —, so dass man sich fragt ,Ist das jetzt Traum oder Wirklichkeit?’.

Wie ist die Idee zu „Die Götter müssen Klempner sein“ entstanden?

Rottgardt: Wir waren beide nach langen Jahren im Kunst- und Kulturbereich bei der Lebenshilfe Krefeld tätig. Die Welt von Menschen mit Behinderung ist vom Rest der Gesellschaft immer noch nahezu hermetisch abgeriegelt — Inklusion hin oder her. Während einer gemeinsamen Schicht wurde uns bewusst, dass es notwendig ist ein solches Projekt ins Leben zu rufen.

Siegrist: Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschieden, die Gedankenwelt von Menschen mit Behinderung sichtbar zu machen. Was bedeutet das genau? Siegrist: Begegnungen mit Behinderten gibt es viel zu wenig. Sie passieren meistens in einem pädagogischen oder therapeutischen Kontext oder wenn man selber — sagen wir, als Familienmitglied — betroffen ist. Uns ist aufgefallen, dass in dem Alltag eines Menschen mit Behinderung so viele Dinge passieren, von denen die Außenwelt nichts mitbekommt. Deshalb wollten wir ihre Sehnsüchte und Träume zeigen und deutlich machen, dass wir alle in unseren Bedürfnissen ähnlich sind.

Dazu braucht es natürlich die passenden Schauspieler. Sie haben sich für die Bewohner der Lebenshilfe in Krefeld entschieden.

Rottgardt: Das lag auf der Hand. Wir haben jeden Tag mit ihnen zu tun und kennen alle sehr gut. Die Bewohner des Wohnhauses Gartenstadt waren von unserer Idee hellauf begeistert.

Siegrist: Ein junger Mann hat beispielsweise im Zuge des Projekts eine enorme sprachliche Entwicklung gemacht. Eine junge Frau mit Autismus-Spektrum-Störung legte ihre Ängste vor Berührungen ab. Generell verlängerten sich die Aufmerksamkeitsspannen aller Teilnehmer enorm. Und das sind nur einige Beispiele.

Die Dreharbeiten haben also das Leben der Darsteller verändert?

Rottgardt: Auf jeden Fall! Durch die Entscheidung das Drehbuch gemeinsam mit den Darstellern zu entwickeln, hat sich ihnen eine neue Welt eröffnet. Es war in vielen Bereichen für sie ungewohnt, dass man sie gezielt anspricht, nach ihren Wünschen oder ihrer Meinung fragt und vor allem ihnen die Möglichkeit gibt für sich selber zu entscheiden.

Ist diese neue Entscheidungsmöglichkeit bei den Darstellern gut angekommen?

Siegrist: Zu Beginn des Projekts waren die meisten damit überfordert, alleine durch die Frage ,Was möchtest DU tun?’. Wir sind also alle zusammen, langsam, Schritt für Schritt, den Weg der Herstellung eines Filmes gegangen. Das hat dann auch wunderbar geklappt. So gut, dass einige die Dreharbeiten derart vermissen und fragen, was wir als nächstes machen. Das war auch für uns und die professionell Filmschaffenden ein riesiger Lernprozess.

Sie haben bewusst auf ein Drehbuch verzichtet und sich der Improvisation hingegeben. Was hat das verändert?

Rottgardt: Alles. Uns war wichtig, dass wir mit den Darstellern auf Augenhöhe arbeiten. Das bedeutet, dass wir darauf geachtet haben, ihnen keine Vorschriften zu machen. Es ging darum ihnen zur Seite zu stehen, damit ihre Geschichte eine Form und einen Raum bekommt. So wurden wir zu weiten Strecken zu ihrem Instrument.

Warum haben Sie sich für einen fiktionalen Kurzfilm entschieden? Eine Dokumentation wäre doch auch möglich gewesen.

Rottgardt: Es gibt schon relativ viele Dokumentationen über Menschen mit Behinderungen. Zumeist als Informationsfilme. Das ist wichtig, hat uns aber nicht interessiert. Die Erarbeitung einer Fiktion hat den Darstellern einen Raum eröffnet, in dem erst mal alles erlaubt ist. Dies weicht sehr weit von ihrer Alltagssituation ab. Wir waren neugierig wie sie diesen Raum besetzen. Darüber hinaus wollten wir den Zuschauer zum ästhetischen Schauen einladen. Wenn man sich eine Doku anschaut, dann liegt der Fokus des Zuschauers auf der Behinderung. Durch die Fiktion entsteht beim Zuschauer irgendwann der Moment, wo die Behinderung in den Hintergrund tritt. Hier entsteht ein neue Wahrnehmung.

Welche Erwartung haben Sie an den Film? Gibt es vielleicht auch die Sorge, dass er nicht gut ankommt?

Rottgardt: Unabhängig davon wie er ankommt, für uns ist das Projekt auf jeden Fall ein Erfolg. Aber klar, wir veröffentlichen, also hoffen wir, dass er den Zuschauern gefällt. Unsere Idee hat in Krefeld und gerade hier in der Südstadt so viel Unterstützung gefunden, dass wir richtig überwältigt waren. Es hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die uns gezeigt hat, dass unser Projekt großen Zuspruch von außerhalb bekommt. Deshalb sind wir sehr zuversichtlich.

Ihre Produktionsfirma heißt „Leib+Seele“ — ist der Titel Programm?

Rottgardt: Jeder der an diesem Kunstprojekt beteiligt gewesen ist — egal ob Darsteller, Filmcrew, Sponsoren, Freunde, Verwandte, Bekannte — hat unglaublich viel Energie und Zeit hineingesteckt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass hier etwas passiert ist, dass Menschen bewegt, weil es ihre Sehnsüchte trifft. Hier gilt es anzuknüpfen.

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