Buch "Rotlicht" Nora Bossong: Eine Frau erkundet das Rotlicht-Milieu

Nora Bossong hat sich gefragt, warum es Orte käuflicher Lust eigentlich nur für Männer gibt. Also zog sie los — ins Sexkino, ins Bordell, auf den Straßenstrich. Daraus wurde ein Buch.

Buch "Rotlicht": Nora Bossong: Eine Frau erkundet das Rotlicht-Milieu
Foto: Peter-Andreas Hassiepen

Düsseldorf. Die erste Station von Nina Bossongs einjähriger Reise ist eine Tabledance-Bar in Frankfurt. Eine Tänzerin wohl weit jenseits der 40 reißt sich mit einem Griff ihr Tigerhöschen von der Hüfte, wedelt damit, bietet es den Männern vor der Bühne an — keiner will es. Nora Bossong muss fast lachen. Aber nicht aus Heiterkeit, sondern aus Unbehagen. „Nicht bloß, dass wir Sex hier als reine Ware sehen — wir schätzen nicht einmal mehr die Ware selbst.“ Die 35-jährige Autorin hat sich auf die Spur dieser Ware begeben. Als Frau unterwegs im Rotlicht-Milieu. Ein Fremdkörper, nicht vorgesehen im Konzept. Eine Machttransvestitin. Herausgekommen ist ihr neues Buch „Rotlicht“.

Das Werk ist ein Dokumentarfilm auf Papier. 235 Seiten, auf denen detailliert beschrieben wird — der kalte Rauch im Sexkino, die rosarote Wandbemalung im Laufhaus. Aber eben nicht nur das Bild, sondern auch der Eindruck, das Empfinden Bossongs. Und sie nimmt sich die Freiheit, auszublenden, wenn es zu hart wird, zu platt, zu voyeuristisch. Oder zu persönlich. Ob Anna sie bei der Tantra-Massage tatsächlich zum Höhepunkt gebracht hat, muss der Leser nun wirklich nicht wissen. „Mir geht es nicht darum, mich und meine Sexualität auszustellen“, erklärt Nora Bossong.

Worum es ihr geht, ist dann doch etwas komplexer. Und es ist ein Prozess. Alles begann, als die Wahl-Berlinerin mit einem Freund an einem geschlossenen Erotikclub vorbeilief — und bei ihm eine befremdliche Faszination bemerkte, obwohl er doch so gar nicht der typische Lapdance-Kunde war. Da kamen Fragen. „Ich habe mich gefragt, warum es diese Orte fast immer nur für Männer gibt“, erklärt Bossong. Und warum es überhaupt so viele dieser Orte gibt, über sie aber kaum jemals gesprochen wird. Der Kauf von Lust erschien ihr als „letztes Tabu in einer enttabuisierten Gesellschaft“. Jeder kann den ganzen Tag lang auf dem Handy Youporn gucken — aber haben wir dadurch echte sexuelle Freiheit gewonnen?

Nora Bossong stellt sich diese elementare Frage

Es klingt nicht danach, wenn Nora Bossong vom vermeintlichen Hort endgültiger Libertät berichtet: dem Swingerclub. Pärchen zahlen 45 Euro Eintritt, einzelne Frauen gar nichts. Schon an der Eingangstür ist es vorbei mit der versprochenen Gleichberechtigung. Am Buffet ziehen sich die einen Nudelsalat und Windbeutel rein, während es bei anderen nur eine Wand weiter heftig zur Sache geht. Und ausgerechnet hier sitzen sie in der Sauna mit Handtüchern verhüllt da. „Das war fast absurd und lustig“, berichtet die Autorin. Anregend indes eher nicht.

Für Nora Bossong waren die Begegnungen und Geschichten auf dem Straßenstrich die einprägsamsten. Die Berliner Prostituierten Bina und Angelina, mit denen sie sich im Stundenhotel in einem Zimmer voller Spiegel und Küchenkrepp trifft. Die viel lachen, während sie von schmerzenden High-Heels erzählen und stinkenden Männern. „Oder du gehst mit einem jungen Idioten mit, der denkt: Ich hab für dich fünfzig Euro bezahlt, jetzt gehörst du mir. Ich mach mit dir, was ich will.“

Der Leser begleitet Nora Bossong, während ihre anfangs liberale, fast unbefangene Sicht auf das Milieu kritischer wird. Zumindest, was die Prostitution angeht. „Preisverfall und Respektverfall, das ist etwas, was ich nicht akzeptieren kann“, sagt Bossong. Dachte sie früher noch, man müsste einfach auch mehr Frauen zu Sexkunden machen und alles wäre fair und gut, stellt sie jetzt die elementare Frage: „Ist es legitim, jemanden zu besitzen?“ Und letztlich gehe es bei dem Geschäft mit der Lust eben immer auch darum.

„Rotlicht“ wird aber an keiner Stelle zu einer Vorführung der bösen Männerwelt. „Ich habe Freier getroffen, die ich durchaus nett fand“, berichtet die 35-Jährige. Mit zweien geht sie sogar in den Biergarten. Und erlebt dort, dass die Männer mit ihr im offenen Gespräch fast mehr Intimität finden können als zuvor bei der Frau, mit der sie Sex gegen Geld hatten. Eine „gewisse Hilflosigkeit“ habe sie bei vielen dieser Kunden erlebt: „Eigentlich wünschen sie sich etwas anderes — aber das können sie eben nicht kaufen.“ Echtes Begehren ist eben doch mehr als eine „Triebabfuhr“. Das gibt es nicht für ein paar Scheine, nicht ohne eine Geschichte. Und schon gar nicht ohne die Würde des Gegenübers.

Nora Bossong wünscht sich, dass „Rotlicht“ ein „ernsthaftes Gespräch“ darüber in Gang bringt, was in Bezug auf diese Würde in Ordnung ist — und dass es Internetforen, in denen Frauen wie Artikel eines Online-Versandhauses bewertet werden, nicht sind. Für sich selbst hat sie mehr mitgenommen aus diesem Jahr als Ekel. Vor allem die Frage: Was will ich, mag ich, begehre ich selbst wirklich — und was sind nur die vorgefertigten Bilder von dem, was ich nach Meinung einer sehr großen Industrie begehren sollte? Durch ihr Eintauchen in die Porno-Welt hat sie letztlich Abstand zu ihr gewonnen.

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