Hebammenschwund: Wohnortnahe Geburt ist in Gefahr

Hebammen sind lebenswichtig. Da sind sich alle einig. Weil immer mehr Kreißsäle und Geburtshäuser schließen müssen, kämpft der Berufsstand dennoch ums Überleben.

Hebammenschwund: Wohnortnahe Geburt ist in Gefahr
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Düsseldorf. „Mittlerweile muss man sich bei der Hebamme anmelden, bevor der Schwangerschaftstest trocken ist. Dann kümmert man sich um einen Kindergartenplatz und danach sagt man dem Mann Bescheid“, sagt Julia Hoyer vom Elternverein Mother Hood nicht ohne Galgenhumor. Während sich Politiker über steigende Schwangerschaftszahlen freuen, werden Geburtshilfeplätze abgebaut, werden immer mehr Hebammen krank oder geben ihren Beruf auf. Frauen mit Wehen werden ins nächste Krankenhaus geschickt oder entbinden im Flur, weil der Kreißsaal belegt ist. Die wohnortnahe Geburt dank flächendeckender Versorgung durch Hebammen wird immer mehr zum Glücksspiel.

Das Sozialgesetzbuch verspricht die freie Wahl des Geburtsortes und verpflichtet die Krankenkassen, die Kosten der Geburt zu übernehmen. Frauen können zuhause, im Geburtshaus oder im Krankenhaus ihr Kind zur Welt bringen. Immer mit dabei eine Hebamme. Weit über 90 Prozent der Schwangeren favorisieren die Geburt im Krankenhaus. Soweit die Theorie. In der Realität haben seit 2015 in NRW acht Kreißsäle geschlossen, vier sind von Schließung bedroht. Zentralisierung heißt das Gebot. Ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag besagt, dass fast die Hälfte der Hebammen in Krankenhäusern drei Geburten gleichzeitig betreut. Zusätzliche Aufgaben wie Putzen nicht ausgeschlossen.

Die Folge: Überstunden, Überlastung, ein hoher Krankenstand und Nachwuchssorgen. Der deutsche Hebammenverband sammelt auf einer „Landkarte der Unterversorgung“ im Netz gescheiterte Anfragen nach Hebammen in ganz Deutschland. Mehr als 12.000 Einträge sind hier seit Mai 2014 zusammengekommen. Und auf der „interaktiven Karte der Geburtshilfe in NRW“ der Initiative Elternstimme sichere Geburt zeigen grüne Kästchen und rote Blitze an, wo es Geburtshilfe gibt und wo (nicht) mehr. Barbara Blomeier, erste Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen NRW warnt: „Das ist ein Flächenbrand, das ist überall.“ Wenn er auch in ländlichen Gegenden deutlicher ausfällt als in Städten. Außerklinische Geburtshilfe ist praktisch nur noch in großen Städten möglich, weil dort Krankenhäuser in der Nähe sind.

Die Probleme haben mehrere Ursachen. Immer weniger freiberufliche Hebammen sind in der Lage, die deutlich gestiegenen und weiter steigenden Haftpflichtprämien zu stemmen - ab Juli auf mehr als 7000 Euro im Jahr. Barbara Blomeier weiß: „Außerdem ist die Praxis der Ausgleichszahlungen (die die gestiegenen Prämien für die Hebammen abfedern sollen, Red.) wahnsinnig mühselig.“ Auf komplizierte Anträge folgen schwierige Verfahren und späte Auszahlungen: „Das kann schon mal ein Dreivierteljahr andauern.“ Bei einem Einkommen, das bei freien Hebammen nicht selten an oder unter der Mindestlohngrenze liegt (angestellte Hebammen an einer Klinik haben ein Einstiegsgehalt von knapp 2.800 Euro), ist das der finanzielle Ruin.

Im Krankenhaus wiederum regelt das Krankenhausentgeltgesetz, ein Bundesgesetz, mit seinem Fallpauschalsystem die Bezahlung. Das setzt pro „normaler“ Geburt eine bestimmte Summe fest. Blomeier erklärt: „Eine Geburt kann Stunden, aber auch Tage dauern, erfordert weniger oder mehr Personal und Material. In der Geburtshilfe kann man keine schwarzen Zahlen schreiben.“ Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft arbeiten rund 60 Prozent der geburtshilflichen Abteilungen nicht kostendeckend, was weitere Stellenstreichungen zur Folge hat. Hinzu kommt, dass offene Hebammenstellen nur schwer besetzt werden können, wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts 2016 herausfand. Am Ende schließen Geburtsstationen - wie zum Beispiel 2015 in Wuppertal und 2016 in Solingen. Folge: Die verbliebenen Kreißsäle mit ihren wenigen Hebammen erleben einen wahren Ansturm, Krankenhäuser ziehen Höchstgrenzen ein.

Eltern und Hebammen wehren sich, sammeln Fakten, stellen Forderungen. Dazu zählen laut Blomeier das Ende der Fallpauschale, die Einrichtung eines von allen getragenen Haftungsfonds, ein Landeskrankenhausplan, der den Kliniken Geburtshilfe zur Pflicht macht, oder ausreichende Sicherstellungszuschläge. Katharina Desery von Mother Hood plädiert dafür, dass das Hin- und Herschieben der Verantwortung zwischen Bund, Land, Krankenkassen und Hebammenverbänden ein Ende hat, und der Beruf der Hebamme (finanziell) attraktiver wird.

Und Julia Hoyer findet: „Die Verbesserung der Geburtshilfe braucht Zusammenarbeit. Wir wünschen uns eine bessere Kooperation unter Einbeziehung der Eltern.“

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