Studie: Ostdeutschland besonders anfällig für Rechtsextremismus

Berlin. Der Rechtsextremismus ist im Osten stärker ausgeprägt als in den alten Bundesländern, aber auch zwischen ländlichen Regionen und größeren Städten. Eine aktuelle Untersuchung im Auftrag der Bundesregierung sieht dafür vielschichtige Ursachen und warnt vor Stigmatisierungen.

Ein Teilnehmer einer Pro-Le-Pen Demonstration der Thügida vor der Frauenkirche in Dresden.

Ein Teilnehmer einer Pro-Le-Pen Demonstration der Thügida vor der Frauenkirche in Dresden.

Foto: Arno Burgi

Iris Gleicke (SPD) treibt das Problem schon lange um. „Die Vielzahl der fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Übergriffe ist bestürzend“, sagte die Ostbeauftragte der Bundesregierung am Donnerstag bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Das gelte auch für den Westen, aber „besonders oft“ für den Osten.

Nach den aktuell verfügbaren Zahlen gab es 2015, dem Jahr mit der stärksten Flüchtlingswelle in der jüngeren deutschen Geschichte, bundesweit 1408 rechtsextreme Übergriffe. Vor allem auf Asylbewerberheime. Das entsprach einer Steigerung um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die meisten Delikte wurden in Nordrhein-Westfalen registriert. Bei der regionalen Verteilung fiel allerdings auf, dass die neuen Bundesländer im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße negativ herausstachen.

Im Westen kamen auf eine Million Einwohner durchschnittlich etwa zehn rechtsextreme Taten, im Osten schwankte die Zahl je nach Bundesland zwischen 34 und knapp 59. Vor diesem Hintergrund beauftragte Gleicke das Göttinger Institut für Demokratieforschung, den Ursachen nachzugehen. Dazu analysierten die zumeist im Osten aufgewachsenen Experten rechtsextremistische Brennpunkte in Sachsen sowie Thüringen und führten etwa 40 Einzelinterviews mit politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, aber auch Bewohnern vor Ort.

Eine Ursache für den Rechtsextremismus im Osten sieht die Studie in einer Verklärung der DDR. Wenn ein Lokalpolitiker in Erfurt behaupte, zu DDR-Zeiten habe es keine faschistischen Umtriebe gegeben oder sich in Freital keiner an die „progromartigen Angriffe“ auf das lokale Gastarbeiterheim im Jahr 1991 erinnern könne oder wolle, dann sei das „Ausdruck einer selektiven Auseinandersetzung mit der Historie“, heißt es in der Studie . Das gelte auch für eine „Erinnerungskultur“ im Raum Dresden, „die den eigenen Opferstatus mythologisch überhöht und die langfristigen braunen Spuren der Stadtgeschichte kaum“ wahrnehme. Auch Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit wie etwa die Hoffnungen, die mit der deutschen Einheit verbunden waren, würden vielfach auf die allein wahrgenommenen Enttäuschungen reduziert, anstatt sie mit womöglich überzogenen Erwartungen an die Bundesrepublik abzugleichen.

An allen untersuchten Orten habe man das Gefühl der Benachteiligung wahrgenommen. Dieses Gefühl gelte „gerade auch für die Identität als Ostdeutsche“, schreiben die Autoren weiter. „Die Überhöhung des Eigenen, Sächsischen, Ostdeutschen, Deutschen in Bezug auf die krisenhaft wahrgenommene Aufnahme von Flüchtenden, aber auch auf Migranten im Allgemeinen“ habe in allen Interviews eine „wichtige Rolle“ gespielt. Ebenso eine „latente Fremdenfeindlichkeit“.

Die Experten warnen allerdings vor „Zeigefinger-Lösungsvorschlägen“ aus der alten Bundesrepublik. Schließlich habe es auch einen „westdeutschen Extremismus-Export nach Ostdeutschland“ gegeben. Der Studienmitautor Michael Lühmann zählte dazu aktuell auch die AfD-Funktionäre Alexander Gauland und Björn Höcke.

Nach Einschätzung der Ostbeauftragten Gleicke lassen sich aus der Untersuchung zahlreiche Konsequenzen ableiten. Neben einer besseren Sozialpolitik und der Herausstellung positiver Beispiele wie etwa mutiger Kommunalpolitiker oder örtlicher Unternehmer, die gegen braune Umtriebe Flagge zeigen, müsse vor allem die Zivilgesellschaft in den neuen Ländern gestärkt werden. „Die Mehrheit der Ostdeutschen findet den Rechtsextremismus fürchterlich, aber diese Mehrheit ist viel zu leise“, erklärte Gleicke.

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