Bundestagswahl 2017 Wahlprognose: Jamaika-Koalition — im Bund wahrscheinlich

Big Data im Dienst der Wahlprognose. Ein Berliner Statistiker hat ein Modell entwickelt.

Bundestagswahl 2017: Wahlprognose: Jamaika-Koalition — im Bund wahrscheinlich
Foto: Grafik: klxm.de

Berlin. Eigentlich ist die anstehende Bundestagswahl schon gelaufen. Alle Umfragen sehen die CDU klar vorn, die SPD mit Martin Schulz ist ausgebremst, Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Ist das wirklich so? Seit Hillary Clinton ein sicherer Sieg bei der Präsidentschaftswahl in den USA vorhergesagt wurde und Donald Trump dann doch an ihr vorbeizog, ist der Glaube an die Wahlprognosen tief erschüttert. Der Sündenfall der Demoskopie war Ansporn für den promovierten Berliner Statistiker Marcus Groß, es besser zu machen. Sein Anspruch: Eine Prognose für den Ausgang der Bundestagswahl im September zu erstellen.

 Das Prognosemodell für die Bundestagswahl 2017.

Das Prognosemodell für die Bundestagswahl 2017.

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Zu diesem Zweck hat Groß, mit Hilfe des Teams des Berliner INWT Statistics-Unternehmens für Data Science und Predicitve Analytics, bei dem er arbeitet, eine Methode entwickelt, die er selbst als „Poll-Pooling“ (Umfragen-Bündelung) bezeichnet: „Wir kombinieren und gewichten alle verfügbaren Wahlumfragen zu einer Gesamtprognose. Dazu geben wir eine Langfristprognose für die Bundestagswahl selbst ab, indem wir kurzfristige und langfristige Trends optimal kombinieren.“

Bundestagswahl 2017: Wahlprognose: Jamaika-Koalition — im Bund wahrscheinlich
Foto: Jennifer Sanchez / http://vonzynski.com

In drei Punkten unterscheiden sich die Big-Data-Demoskopen von der Konkurrenz: „Wir erstellen eine Prognose für die Bundestagswahl selbst und nicht nur für die Sonntagsfrage.“ Außerdem veröffentliche man Fehlerbereiche, um die Unsicherheit einer Prognose richtig einschätzen zu können. Schließlich schätze man quantitativ ein, wie wahrscheinlich verschiedene Ereignisse — zum Beispiel ob die SPD mehr als 30 Prozent bekommt oder Angela Merkel Kanzlerin bleibt — eintreten. Den Erfolg ihres Vorgehens testen die Berliner, indem sie es retrospektiv an den vergangenen Bundestagswahlen messen. Ergebnis: Man sei etwa zehn bis 20 Prozent besser als herkömmliche Wahlumfragen gewesen. Allerdings: Je näher ein Wahltermin rücke, desto genauer werden alle Umfragen.

Unwägbarkeiten kennen natürlich auch die Statistiker. Aktuelle Themen — vom Dieselskandal bis zur inneren Sicherheit — beeinflussen den Wahlausgang, „insbesondere wenige Wochen vor der Wahl“. Und: Sie lassen sich kaum vorhersagen. Auch der Anteil der Nichtwähler ist bislang nicht explizit in die Berechnungen eingeflossen — wird aber in den Umfragen der Institute (Allensbach, Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, GMS, Infratest Dimap sowie INSA) berücksichtigt, die Basis der Berliner Prognosen sind.

Seit dem Frühjahr werden die Daten einmal pro Woche aktualisiert, was einerseits zu einem riesigen Datenschatz und größerer Genauigkeit und andererseits zu geringeren Schwankungen als bei klassischen Umfragen geführt hat.

Laut aktueller Prognose der Berliner besteht „für Martin Schulz so gut wie keine Chance mehr, Kanzler zu werden“, erklärt Marcus Groß. Die Wahrscheinlichkeit liege derzeit bei nur zirka 0,5 Prozent. Ergebnisoffener sieht es dagegen bei den Regierungskoalitionen im neuen Bundestag aus. Laut Groß sei mit mehr als 90 Prozent eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen rechnerisch wahrscheinlich. Rot-Rot-Grün oder gar Rot-Grün ließen sich dagegen derzeit nahezu ausschließen. Auch eine schwarz-gelbe Koalition „ist aus unserer Sicht eher unwahrscheinlich (7 Prozent)“. Am wahrscheinlichsten sei tatsächlich der Verbleib der großen Koalition aus CDU und SPD.

So überraschend der Wahlausgang in den USA im vergangenen November auch war, einer hatte ihn doch für möglich gehalten. Der Wahlforscher Nate Silver hatte einen Sieg Trumps zu 22 bis 34 Prozent prognostiziert — auf der Basis der Statistik. „Hört sich gar nicht so wenig an, oder?“, meint Marcus Groß. Der 31-Jährige begann, sich mit der Methodik des Amerikaners auseinanderzusetzen. Aus Spaß und Interesse und unterstützt durch sein Team und sein Unternehmen entwickelte er sein Modell. Dessen Kosten „setzen sich hauptsächlich aus Arbeitszeit zusammen“. Auch lassen sich noch keine konkreten Einnahmen erkennen — die Parteien haben jedenfalls noch kein Interesse signalisiert. Der Gewinn besteht bislang vor allem in der Aufmerksamkeit für das Unternehmen.

Und was macht Marcus Groß am Wahlabend? „Ich werde die Hochrechnungen verfolgen und natürlich auch ein bisschen darauf hoffen, dass meine Prognosen einigermaßen zutreffend sind“, sagt er bescheiden.

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