Bundestagswahl 2017 "Berliner Runde": Wahlverlierer Schulz bläst zur Attacke

Bei der „Berliner Runde“ reitet der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD heftige Angriffe gegen die Kanzlerin. Der Umgang mit der AfD beherrscht die Diskussion.

Bundestagswahl 2017: "Berliner Runde": Wahlverlierer Schulz bläst zur Attacke
Foto: dpa

Berlin. Nach etwa 45 Minuten platzt Joachim Hermann, dem CSU-Mann in der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF mit den Spitzenpolitikern der Parteien, der Kragen. „Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich nur mit der AfD.“ Wie auch sonst in Talkshows und Fernsehsendungen im Wahlkampf werde die Partei wieder überbewertet, es werde ihr zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, schimpft der bayerische Innenminister.

Allerdings war die tektonische Verschiebung der Machtverhältnisse durchaus eine Rechtfertigung für eine Auseinandersetzung mit eben diesem Phänomen. Der neben Hermann sitzende AfD-Mann Jörg Meuthen genießt eben das — dass sich alle an ihm und seiner Partei abarbeiten und er im Mittelpunkt des Geschehens steht. Dass die politischen Gegner sich öffentlich Gedanken machen, wie man mit der „offen rechtspopulistischen, zum Teil rassistischen Partei“ (Zitat Katrin Göring-Eckardt, Grüne) umgehen soll. Ihr möglicher Koalitionspartner Christian Lindner von der FDP empfiehlt, nicht jede provokante Äußerung der Partei, die „völkische Reinheitsgedanken pflegt“, zu überhöhen: „Einfach mal drüber weggehen, die AfD zwingen, zu den Sachfragen Position zu beziehen.“

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Weitaus spannender als die Frage des Umgangs mit der AfD ist das in der Diskussion zu Tage tretende, völlig zerrüttete Verhältnis von SPD und Union, das ein aggressiv auftretender Martin Schulz nach der krachenden Niederlage seiner SPD an den Tag legt. Der gescheiterte Kanzlerkandidat führt mehrere heftige Schläge gegen Angela Merkel — ganz persönlich. Die Chefin des Noch-Koalitionspartners CDU trage die Verantwortung für die verdiente Niederlage der Union. „Zu dieser Art von Politik stehen wir in Opposition“, sagt der Mann, dessen Partei eben diese Politik jahrelang mitgetragen hatte.

Um dann als weitere Erklärung für den bereits erklärten Gang in die Opposition anzuführen, dass eine starke Opposition in dieser Phase besonders wichtig sei. Sodann verpasst er Merkel gleich noch einen Kinnhaken, als er deren möglichen Jamaika-Koalitionspartnern FDP und Grünen versichert: „Machen Sie sich keine Sorgen, Sie kriegen bei Frau Merkel alles durch.“ Soll heißen: Merkel werde schon grüne und liberale Positionen übernehmen, um weiter regieren zu können. Der Kanzlerin gefriert angesichts solcher Gemeinheiten das Lächeln.

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Der Wähler habe der SPD die Oppositionsrolle zugewiesen, fährt Schulz fort, nun sollten die anderen eben die „Mitte-Rechts-Regierung“ bilden, die die SPD dann als größte Opposition stellen werde. Und er bringt freilich auch das stärkste Argument — dass man nämlich die Rolle der stärksten Oppositionspartei eben nicht der AfD überlassen wolle. Denn so würde es bekanntlich sein, wenn Union und SPD weiter regierten. Seine Partei sei im Bundestag ein starkes Bollwerk gegen die Feinde der Demokratie, die jetzt in den Bundestag ziehen.

FDP-Chef Lindner mag es ganz und gar nicht, dass die SPD durch ihren Rückzug in die Opposition vollendete Tatsachen schafft. „Es darf nicht sein, dass die SPD allein darüber entscheidet, wer in eine Koalition gezwungen wird oder nicht.“ Und dass Schulz eine von ihm schon jetzt als schlecht bezeichnete Jamaika-Koalition durch den eigenen Machtverzicht in Kauf nehme und dann zu bekämpfen verspreche. Lindner: „Für eine solche Haltung hätte sich Helmut Schmidt geschämt.“

Als sich die Kanzlerin von den Boshaftigkeiten des Noch-Partners Schulz erholt hat, zeigt sie sich „traurig, dass die gute Arbeit der Koalition jetzt so charakterisiert wird“. Die von Lindner aufgeworfene Frage der Verantwortung für das Land, für das es zahlreiche Krisen zu bewältigen gelte, sei eben auch eine Verantwortung dafür, in die Regierung zu gehen. „Ich appelliere daran, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt.“ Rechnerisch reiche es schließlich für Union und SPD. „Dieses Land hat verdammt viele Zukunftsaufgaben zu lösen.“ Da seien keine Schachereien gefragt.

Es sind zwar noch keine Koalitionsverhandlungen, die sich da in der einen Stunde öffentlicher Wahlnachlese im Fernsehstudio abspielen. Aber die nebeneinander sitzenden Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt zeigen durchaus, dass Jamaika für sie eine realistische Option ist. Auf die Frage an die Grüne, ob die Gräben zwischen Liberalen und Grünen beispielweise bei der Klimapolitik nicht gar zu tief seien, antwortet diese zunächst mit einen „Natürlich trennt uns da vieles.“ Um dann verblüfft den Einwurf von Lindner: „Nein, trennt uns nicht“ zu vernehmen. Die FDP stehe selbstverständlich zu den Klimazielen von Paris.

Freilich wollen beide denn doch nicht auf allzu große Harmonie machen, verweisen darauf, dass sie ihrem jeweiligen Wählerauftrag verpflichtet seien. Die Kanzlerin nimmt all das kommentarlos zur Kenntnis, scheint aber fest entschlossen, Grüne und Liberale schon bald zu Gesprächen einzuladen. Vielleicht auch die SPD, wenn sie dafür nach den gestrigen Schulz’schen Ohrfeigen noch Lust hat. Jedenfalls wischt sie die Moderatorenfrage nach einem möglichen Regierungsmodell einer Minderheitsregierung als „fünfte Variante“ zurück.

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