Kein Ende der Diskrimierung Wo Homosexuelle trotz Ehe für alle schlechter dastehen

Berlin (dpa) - Die Ehe für alle ist beschlossen. Schwule können nun Blutspenden. Zwar nur, wenn sie ein Jahr keinen Sex haben - aber immerhin nach Jahrzehnten des generellen Ausschlusses. Es läuft also für Homosexuelle, könnte man meinen.

Kein Ende der Diskrimierung: Wo Homosexuelle trotz Ehe für alle schlechter dastehen
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Aber läuft es auch auf ein Ende der Diskriminierung hinaus?

Noch lange nicht, wenn man sich allein die Liste des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) mit Forderungen zur Bundestagswahl anschaut. „Das Recht auf Familiengründung muss für alle gelten“, heißt es da. Schon in der Woche vor der hektischen Abstimmung im Bundestag über die Ehe für alle Ende Juni hatten Kritiker Lücken beim Adoptionsrecht für Homosexuelle moniert.

Doch einige Forderungen sind grundsätzlicher - und machen somit noch deutlicher, wo es aus Sicht vieler Betroffener hapert: Im Artikel 3 des Grundgesetzes etwa geht es um die Gleichstellung der Menschen. „Niemand“, so heißt es dort, dürfe „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“. Eine lange Liste an Faktoren - sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität aber fehlen.

Darüber hinaus fordert der Verband, Homophobie solle ausdrücklich im Strafgesetzbuch als Motiv für Hasskriminalität genannt werden. Auch brauche es ein Bund-Länder-Programm zur Prävention und Bekämpfung von Hassgewalt, heißt es in dem Forderungskatalog. Klar, der LSVD ist eine Lobbyorganisation. Aber die schaut eben auch genau hin.

Und dass die Community das Gefühl hat, häufiger schlechter dazustehen als ihre heterosexuellen Mitmenschen, belegen Studien. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ermittelte jüngst, dass der Stundenlohn bei homo- und bisexuellen Männern niedriger ist als bei gleichqualifizierten Heterosexuellen in vergleichbaren Berufen.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erklärte 2017 zum Themenjahr für sexuelle Vielfalt. In einer Umfrage fand sie unter anderem heraus, dass fast ein Fünftel der Befragten Homosexualität unnatürlich findet. Mehr als ein Viertel will mit dem Thema möglichst wenig in Berührung kommen. Rund 40 Prozent fänden es unangenehm, wenn das eigene Kind lesbisch oder schwul ist. Verbreitet seien subtile Formen der Diskriminierung, hieß es. „Auch in einer Gesellschaft, in der die Äußerung von klassischen Stereotypen und Vorurteilen zunehmend geächtet und Toleranz gegenüber Minderheiten gefordert wird, sind abwertende Einstellungen nach wie vor vorhanden.“

Das zeigt sich in vielen Lebensbereichen: Im Fußball, am Stammtisch oder in der Bundeswehr ist Homosexualität nach wie vor für viele ein Tabuthema. Vermieter lehnen homosexuelle Paare oft ab, wie der Bericht „Diskriminierung in Deutschland“ der Antidiskriminierungsstelle mit mehreren Beispielen belegt. Weiter heißt es darin, bei kirchlichen Arbeitgebern erführen Homosexuelle Diskriminierung.

Auf dem Schulhof sind Begriffe wie „Schwuchtel“, „Homo“ und „Tunte“ gängige Schimpfwörter. Als zuletzt in einigen Bundesländern Bildungspläne überarbeitet werden sollten, um sexueller Vielfalt im Schulunterricht mehr Raum zu geben, gingen zig Menschen dagegen auf die Straßen. In der Umfrage für die Antidiskriminierungsstelle waren drei von zehn Menschen der Ansicht, das Ansprechen des Themas in der Schule verwirre Kinder in der Entwicklung ihrer Sexualität.

In der Altenpflege und Medizin gebe es immer noch Vorbehalte, viele Einrichtungen seien nicht für die besonderen Bedürfnisse ausgerichtet, urteilte der LSVD. Aus Angst vor Vorbehalten und Diskriminierung durch Mitarbeiter oder Mitbewohner würden wichtige und identitätsstiftende Aspekte der Biografie verschwiegen oder verleugnet. „Das Recht auf ein angstfreies und offenes Leben sollte jedoch in allen Lebensphasen verwirklicht werden.“

Dass es auch anders gehen kann, belegt der Verband mit Beispielen aus dem Ausland und nennt Argentinien oder Malta etwa als Vorbilder bei der Anerkennung der Geschlechtsidentität. Dort könne jeder die Änderung des Vornamens und des eingetragenen Geschlechts beantragen, wenn diese nicht mit der eigenen Identität übereinstimmten.

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