40 Jahre Deutscher Herbst: Die Landshut - 107 Stunden Terror

40 Jahre Deutscher Herbst: Am 13. Oktober 1977 entführten arabische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“. Für Gabriele von Lutzau, damals Stewardess, ist sie ein Symbol der Unerpressbarkeit.

40 Jahre Deutscher Herbst: Die Landshut - 107 Stunden Terror
Foto: dpa

Mallorca/Wuppertal. Mitte März ist Gabriele von Lutzau mit Mann und Tochter nach Fortalezza im Nordwesten Brasiliens geflogen. Ziel der Reise: das Wrack einer Boeing 737-200, geparkt am Rand des Flugfelds, mit der früheren Kennung D-ABCE und dem Namen „Landshut“. Für Gabriele von Lutzau ist es mehr als ein Wiedersehen mit einem berühmt gewordenen Arbeitsplatz: „Uns hat die Maschine das Leben gerettet“, sagt die frühere Stewardess, die als Gabi Dillmann der „Engel von Mogadischu“ wurde.

Als die Maschine am 13. Oktober 1977 um 13.55 Uhr in Palma de Mallorca startete, deutete nichts auf irgendwelche Besonderheiten hin: Der Lufthansa-Flug LH 181 holte deutsche Touristen nach Hause; 86 Passagiere, fünf Besatzungsmitglieder. Zwei Passagiere kamen verspätet zum Gate, weshalb die spanische Polizei (was jahreslang bestritten wurde) ihre Taschen nicht weiter kontrollierte.

Ein tödlicher Fehler: Sie gehörten zu einer vierköpfigen Gruppe palästinensischer Terroristen, die sich ab dem 6. Oktober in verschiedenen Hotels am Paseo Marítimo eingemietet hatten. Dorthin soll ihnen die deutsche RAF-Terroristin Monika Haas Waffen und Sprengstoff für die Entführung gebracht haben. In Reisbüros in Palma kauften die Terroristen zwei First-Class- und zwei Economy-Tickets für den Lufthansa-Flug 181 am 13. Oktober.

Der Anführer, Zohair Youssif Akache, der sich später „Kapitän Märtyrer Mahmud“ nennen ließ, verlangte im Flugzeug sofort nach einem Glas Wasser. Gabi Dillmann vergaß ihn aber zunächst. Als sie ihm das Wasser brachte, entschuldigte sie sich, dass er warten musste. Sie werde sich an ihn erinnern, antwortete er ihr.

Etwa eine halbe Stunde nach dem Abflug gab Akache den Befehl, das Cockpit zu stürmen. Mit Pistolen und Handgranaten übernahmen die Terroristen das Kommando der „Landshut“. Sie wollten nach Zypern. Kapitän Jürgen Schumann und Co-Pilot Jürgen Vietor machten den Entführern jedoch klar, dass dafür der Sprit nach Bord nicht reicht. Das neue Ziel der „Landshut“ hieß Rom.

Um 14.38 Uhr schlug die Luftüberwachung im französischen Aix-en-Provence Alarm, weil LH 181 ohne erkennbaren Grund vom Kurs abwich. Als die Maschine um 15.45 Uhr in Rom-Fiumincino landete, war das Kanzleramt in Bonn bereits informiert, aber die Lage noch unklar. Am 5. September war der deutsche Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von RAF-Terroristen entführt worden und bereits seit fünf Wochen in ihrer Gewalt.

Innenminister Werner Maihofer versuchte bei der italienischen Regierung zu erreichen, die Landshut auf keinen Fall wieder starten zu lassen; notfalls solle man die Reifen zerschießen. Doch die Italiener wollten den Flughafen Fiumincino nicht noch einmal zum Schauplatz einer Katastrophe werden lassen. Im Dezember 1973 hatte es dort eine Boeing 737-130 der Lufthansa erwischt: Fünf Terroisten sprengten zuvor eine Boeing 707-321B der Pan Am, ermordeten insgesamt 32 Menschen und flohen mit der Lufthansa-Maschine über Athen nach nach Kuwait; unterwegs töteten sie eine weitere Geisel.

Um 17.42 Uhr verließ die „Landshut“ Rom wieder und flog diesmal wirklich Richtung Zypern. Für die Lufthansa war es bereits die vierte Terror-Entführung in wenigen Jahre: Im Februar 1972 brachten arabische Terroristen einen Lufthansa-Jet auf dem Flug von Tokio nach Frankfurt in ihre Gewalt und erpressten in Aden (Südjemen) fünf Millionen US-Dollar Lösegeld. Im Oktober 1972 kaperten zwei Terroristen eine Boing 727 (13 Passagiere, 7 Besatzungsmitglieder) und pressten die drei überlebenden Olympia-Geiselnehmer aus Deutschland frei; Israel war entsetzt. Dann kam Rom, dann die „Landshut“.

Gabi Dillmann war 22 Jahre alt, als der 107 Stunden währende Terror-Alptraum in der „Landshut“ begann. Als Schülerin war Rudi Dutschke ihr Vorbild, die 68er waren ihre Helden. Als sie 1974 aus dem Odenwald nach Frankfurt kam, atmete sie die Luft der Freiheit: Theater, Kunst, Aufbruch, Frauenbewegung. Als die zunehmende Gewalt der entgleitenden Studentenbewegung sie abstieß, war sie 1969 in die SPD eingetreten. Im Herbst 1977 war sie gerade drei Monate mit dem Lufthansa-Piloten Rüdiger von Lutzau (ihrem heutigen Mann) zusammen und frisch verliebt.

Die Entführung machte ihr trotz der Brutalität, die die Terroristen ausstrahlten, zunächst keine Angst. „Als wir wie eine Herde Vieh nach hinten ins Flugzeug getrieben wurden, hatte ich noch gehofft, wir hätten es mit irgendwelchen Verrückten zu tun, die Lösegeld erpressen wollen durch eine Flugzeugentführung. Dann fiel das Wort Palästina, und es war klar, dass es hier um viel mehr gehen würde“, gab sie später zu Protokoll.

Doch die „Landshut“-Entführung verlief von Anfang an anders. Die Bundesregierung hatte sich inzwischen auf den Kurs festgelegt, sich nicht mehr erpressen zu lassen. Und die Terroristen, die zu einer Splitterbewegung der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ gehörten, wollten keineswegs „nur“ die deutschen RAF-Terroristen mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin freipressen. Sie wollten Juden töten. Ein Firmenzeichen in der Armbanduhr von Co-Pilot Vietor hielt Akache ebenso für einen Davidstern wie das Firmenzeichen von Montblanc. Auf dem Flughafen von Larnaka (Zypern) forderte er Treibstoff und drohte, „drei jüdische Huren“ zu erschießen, wenn die Maschine nicht betankt würde. Eine der Todeskandidatinnen: die Stewardess Gabi Dillmann.

Gabriele von Lutzau beschrieb später mehrfach, wie die Angst sie zunächst lähmte, aber wie sie zusehends zu wütend wurde, um vor dem Feigling mit der Waffe weiter Angst zu haben. Auf dem Irrflug der nächsten Tage wurde die junge blonde Frau für die Passagiere zum „Engel von Mogadischu“. Was außerhalb der Maschine vor sich ging, erfuhren die Geiseln nicht.

Als die Maschine bereits in Mogadischu auf dem Rollfeld stand, hielt Gabi Dillmann am 17. Oktober gegen 15 Uhr eine bewegende Ansprache über Funk, von der sie nicht wusste, wer sie hört: „Wir wissen jetzt, dass wir sterben müssen, es wird sehr schwer sein, aber wir werden versuchen, so tapfer wie möglich zu sterben. Wir sind alle zu jung zum Sterben, auch die Alten unter uns. Bitte sagen Sie meiner Familie und meinem Freund, er heißt Rüdiger von Lutzau, dass ich tapfer gewesen bin. So tapfer, wie man nur sein kann. Bitte sagen Sie meinem Freund, dass ich ihn liebe. (...) Es gibt Menschen in der deutschen Regierung, die verantwortlich für unseren Tod sind. Ich hoffe, Sie können mit dieser Schuld auf Ihrem Gewissen leben.“ Da waren es noch knapp neun Stunden bis zum Sturm der Maschine durch die GSG 9.

Im März hat Gabriele von Lutzau die „Landshut“ zum ersten Mal wiedergesehen. Sie ist noch einmal in der Maschine gewesen, die ihr — so empfindet sie es — das Leben gerettet hat. Sie ist noch einmal über den Notausstieg auf den Flügel der „Landshut“ geklettert, die für sie heute „ein Symbol der Unerpressbarkeit“ des Staates geworden ist. Sie stand noch einmal dort, wo sie vor 40 Jahren über die Klappen hinunter auf die Landebahn gerutscht ist. „Die emotionalste Stelle für mich. Freiheit.“

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