Bericht des Verfassungsschutzes: Viel Gewalt, viel Einschüchterung

Der Bericht des Verfassungsschutzes spiegelt das aufgeheiztes gesellschaftliches Klima wider.

Bericht des Verfassungsschutzes: Viel Gewalt, viel Einschüchterung
Foto: dpa

Düsseldorf. Er sei „hochgradig alarmiert“. Das sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag, als er das erste Mal in dieser Funktion dabei war — bei der Vorstellung des jährlichen Verfassungsschutzberichts. Neben ihm: Burkhard Freier, der Chef des NRW-Verfassungsschutzes. „Auffällig ist“, so stellte Reul fest, „dass besonders Gewaltdelikte aus dem rechtsextremen Spektrum und beim auslandsbezogenen Extremismus stark zugenommen haben“. So stieg die Zahl der rechtsmotivierten Gewalttaten von 289 im Jahr 2015 auf 381 im vergangenen Jahr. Im Bereich des Linksextremismus waren die Zahlen im Jahr 2016 zwar rückläufig, im Zehn-Jahres-Vergleich haben sich die linksextremen Gewaltdelikte allerdings verdoppelt.

Nach dem Putschversuch in der Türkei nahmen die Spannungen zwischen hier lebenden türkischen Nationalisten und kurdisch-stämmigen PKK-Anhängern zu. Hier haben sich die Straftaten mit 205 im Jahr 2016 fast vervierfacht. Die Ereignisse in der Türkei hätten in Deutschland zu einer gesteigerten Zahl von gegenseitigen Angriffen der verschiedenen Lager geführt, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Und zu noch etwas ganz anderem führte die neue Politik in der Türkei — zu vermehrt spürbaren Spionageaktivitäten.

Reul berichtete davon, dass Beamte aus NRW bei der Einreise in die Türkei „besonders liebevoll behandelt“ wurden. Offenbar, um sie geheimdienstlich auszuforschen. So seien mehrere NRW-Polizisten dieser Prozedur unterzogen worden. Dabei sei auch der bedrohliche Hinweis gegeben worden, man wisse, wo die Familie wohne.

Deshalb hat die NRW-Landesregierung am Donnerstag per Erlass Reisehinweise für Beamte aus Nordrhein-Westfalen herausgegeben. Darin heißt es unter anderem: „Sicherheitsempfindlich eingesetztem Personal und Angehörigen der Polizei werden folgende Verhaltensweisen empfohlen: Bei der Ein- und Ausreise sind Fragen zu Angaben im Reisepass, zur Amtsbezeichnung und zum Arbeitgeber (z. B. Polizei Land NRW) wahrheitsgemäß zu beantworten. Es wird darauf hingewiesen, dass sicherheitsempfindlich eingesetztem Personal bei privaten Urlaubsreisen in Staaten mit besonderem Sicherheitsrisiko die Mitnahme dienstlicher IT untersagt ist. Ebenso sind keine Ausrüstungsgegenstände und Ausweispapiere, welche Rückschlüsse auf die dienstliche Tätigkeit ermöglichen, mitzuführen. Es wird empfohlen, die Mitnahme privater IT (auch von Mobiltelefonen) auf das Notwendigste zu beschränken.“

Nicht nur mit Blick auf die Türkei, sondern auch hinsichtlich Russland warnt das Innenministerium in seinem Erlass: „In letzter Zeit wurden nach einem Landgang in St. Petersburg im Rahmen einer Ostseekreuzfahrt sowohl deutsche Polizeibeamte als auch Soldaten der Bundeswehr bei der Ausreise aus Russland in einem Büro festgehalten und zum privaten und dienstlichen Umfeld befragt. Den Betroffenen wurde ein detaillierter Fragebogen vorgelegt. Die unerwartete Situation kann dabei durchaus als unangenehm empfunden werden. Nach der Befragung konnten alle Betroffenen zum Schiff zurückkehren und die Reise fortsetzen. Es ist bei solchen Befragungen nicht auszuschließen, dass Falschangaben zum Beruf nachteilig ausgelegt werden könnten.“

Erstmals werden im NRW-Verfassungsschutzbericht auch die sogenannten „Reichsbürger“ erwähnt. Ihre Zahl wird auf 2200 in NRW (bundesweit 12 000) beziffert. „Sie versuchen, unsere Behörden lahmzulegen. Viele sind äußerst gewaltbereit“, sagte Reul. Wichtigstes Ziel sei es, ihnen die Waffen abzunehmen. Das Innenministerium hat nun eine 16-seitige Broschüre herausgegeben. Diese gibt Behördenmitarbeitern Handlungsanweisungen für den Umgang mit den Reichsbürgern, die den deutschen Staat und oft auch dessen Gewaltmonopol nicht anerkennen. Da heißt es unter anderem: „Lassen Sie sich nicht auf rechtliche Diskussionen ein. Reichsbürger akzeptieren die Personal- und Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland sowie hoheitliche Maßnahmen von Behörden nicht und betrachten sie als unwirksam. Lassen Sie sich bei Telefonaten nicht auf Diskussionen ein und zeigen Sie kein Verständnis. Telefonate werden häufig von Reichsbürgern aufgezeichnet und ins Internet gestellt.“

Da es offenbar häufiger dazu kommt, dass Behördenmitarbeiter persönlich von Reichsbürgern in Rechtsstreitigkeiten verwickelt werden, wird auch der Hinweis gegeben, dass das Land gegebenenfalls Rechtsschutz gewährt.

Dabei geht es auch um die sogenannte „Malta-Masche“, die in der Broschüre so beschrieben wird: Beschäftigten in Behörden werden als Privatpersonen zum Teil absurd hohe finanzielle Forderungen über ein Register in den USA zugestellt. Dort könne sich jeder ohne Überprüfung online anmelden und Forderungen einstellen. Dieses Register trete die Forderungen an ein Inkassounternehmen auf Malta ab, das vor maltesischen Gerichten dann einen vollstreckbaren Titel erwirkt. Wehrt sich der angebliche Schuldner juristisch nicht dagegen, so droht in Deutschland die Zwangsvollstreckung. Das Auswärtige Amt, so heißt es in der Broschüre, habe mittlerweile aber Kontakt zu den zuständigen Stellen in Malta aufgenommen.

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