Debatte Fühlen sich "diskreditiert": ARD contra Zeitungsjournalisten

Um der Struktur-Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu entgehen, startet die ARD nun das nächste Ablenkungsmanöver.

Debatte: Fühlen sich "diskreditiert": ARD contra Zeitungsjournalisten
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Frankfurt/Berlin. Von der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse“, kurz „ARGA“, dürften die meisten Fernsehzuschauer wie auch die meisten Tageszeitungsjournalisten noch nie gehört haben. Der Verein, angeführt von drei ARD-Redakteuren, die einräumen müssen, dass die Legitimität ihrer Äußerungen sogar von den eigenen Sender-Chefs regelmäßig in Frage gestellt wird, hat an die „lieben Kolleginnen und Kollegen in den Zeitungsredaktionen“ nun einen offenen Brief geschrieben.

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Foto: Tobias Hase/dpa

Inhalt: Sie fühlten sich „diskreditiert“, wenn sie als „Staatsfunk“ bezeichnet würden, und sie fragten sich, „warum Sie mit solchen Äußerungen unsere Arbeit verunglimpfen und sich damit selbst in die Nähe von Rechtspopulisten stellen.“ Damit bedienten die lieben Zeitungskollegen „ein Klima, das uns JournalistInnen der öffentlich-rechtlichen Medien an den Pranger stellen soll“.

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Foto: Marijan Murat

Die anlasslose Verunglimpfung von 10.500 Redakteurinnen und Redakteure deutscher Tageszeitungen, die mehrheitlich keine Zeile über Medienpolitik schreibt, als rechtspopulistennah ist nur der neuste Gipfel der Albernheit im ARD-Krieg gegen den Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV), seit dessen Präsident Mathias Döpfner sich im September gegen die immer grenzenlosere Ausdehnung von ARD, ZDF und Deutschlandradio in die Geschäftsfelder der Zeitungsverlage verwahrte. Ohne auf die Rechtspopulismus-Verunglimpfung einzugegehen, verwahrte sich Döpfner nachdrücklich gegen den Vorwurf, dass Rundfunk-Journalisten von den Zeitungen „diskriminiert“ würden.

Für die privaten Zeitungsverlage, die ebenso wie die öffentlich-rechtlichen Sender einen wichtigen Beitrag zur journalistischen Vielfalt und Qualität leisteten, sei es unverzichtbar, neben Werbeerlösen auch Profit aus digitalen Abonnements zu erzielen, so Döpfner. Online-Journalismus sei andernfalls langfristig nicht zu refinanzieren: „Wenn kein nachhaltig erfolgreiches digitales Geschäftsmodell etabliert werden kann, wäre bei weiter rückläufigem Printgeschäft ein Verlagssterben, eine Reduzierung der Vielfalt die Folge.“

Wenn dann irgendwann quasi nur noch öffentlich-rechtliche Online-Zeitungsangebote zur Verfügung stünden, „dann und nur dann würde eine Art ‚Staatspresse‘ entstehen, ein Monopol, das von zentral erhobenen Gebühren lebte und unter der Aufsicht von Politikern aller Parteien stünde“, so Döpfner weiter, und: „Dieses Konjunktiv-Szenario als Vorwurf misszuverstehen, die Journalisten der ARD seien ‚Staatspresse‘, ist böswillig. Gemeint war es so nie.“ Döpfner bot an, den Dialog mit den Autoren des Briefs auch persönlich und öffentlich fortzusetzen. Denn: „Es geht um viel.“

Mathias Döpfner kann sich einigermaßen sicher sein, dass es dazu nicht kommt. Denn allen voran die ARD bricht den Dauerkonflikt, den sie nun auch auf die Zeitungsredakteure ausdehnen will, aus einem sehr durchsichtigen Grund vom Zaun: Sie will davon ablenken, dass sie sich konsequent weigert, der Aufforderung der Ministerpräsidenten nach Vorschlägen für eine umfassende Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachzukommen. Was die ARD als Konflikt mit den Zeitungsverlegern inszeniert, ist eine Flucht vor der Erledigung der eigenen Hausaufgaben.

Zur Erinnerung: Mehr als ein Jahr lang hatten die Intendanten von ARD und ZDF Zeit, auf Bitten der Ministerpräsidenten der Länder über „Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter“ nachzudenken. Konkret sollten die Intendanten strukturelle Einsparungen vorschlagen, um den Rundfunkbeitrag von heute 17,50 Euro stabil zu halten. Was die Sender ablieferten, war stattdessen ein Papier, in dem vor allem nachzulesen ist, dass die Sender sich künftig nicht mehr an Gesetze und Verträge halten wollen: Vor allem die ARD will nicht mehr akzeptieren, dass ihr ein Verbot „presseähnlicher“ Angebote (zum Beispiel Texte im Internet ohne Sendungsbezug) auferlegt ist, und sie keine flächendeckende Lokalberichterstattung anbieten darf.

Nach der Jahrestagung der Ministerpräsidenten, die am 19. und 20. Oktober in Saarbrücken stattfand, bewertete selbst die den öffentlich-rechtlichen Sendern äußerst positiv gesonnene Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz) die Vorschläge nur „grundsätzlich als positiv“.

Für die Begriffsstutzigen unter den Intendanten sagte Dreyer wörtlich: „Wir loben diesen ersten Schritt als ersten Schritt, aber wir sind nicht zufrieden.“ Was Dreyer nicht sagte: Hinter verschlossenen Türen herrschte deutlich Unmut, dass die Sparvorschläge von rund 1,5 Milliarden Euro (verteilt auf mehrere Jahre) nur mit 500 Millionen wirklich die Strukturen der Sender betrafen.

Zumindest die ARD-Vorsitzende und MDR-Intendantin, Karola Wille, hat es immer noch nicht begriffen. Sie verkündete, die Beschlüsse der Ministerpräsidenten seien ein „deutliches Bekenntnis“ zu einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es sei gut, „dass die Politik die Interessen unserer Nutzerinnen und Nutzer in der digitalen Welt im Auge hat“. Denn merken konnte sich Wille nur, dass die Ministerpräsidenten grundsätzlich einverstanden sind, dass ARD und ZDF einzelne Beiträge künftig länger in ihren Mediatheken stehen lassen dürfen.

Etwas anderes — zum Beispiel die ausgesprochene Unzufriedenheit von 13 Länderchefs — berichteten die meisten Sender der ARD erst gar nicht. Störend in diese eigene Welt des Nicht-Wahrhaben-Wollens dürfte einbrechen, dass die Rundfunkkommission der Länder bereits Anfang Januar über die „Fortschritte“ berichten soll, die die Intendanten bei ihren Vorschlägen zur Strukturreform von ARD und ZDF gemacht haben.

Dabei soll es unter anderem darum gehen, den „Auftrag“ klarer zu definieren, der die Grundlage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist. Dieser „Auftrag“, den die Intendanten wie einen Heiligen Gral vor sich hertragen, ist weitgehend undefiniert — obwohl sich auch das Bundesverfassungsgericht schon ein halbes Dutzend Malmit ihm befasst hat. Der „Auftrag“ ist die Ausrede der Sender für jede Gebührenerhöhung, jede inhaltslose Ausdehnung der Programmverbreitung und jeden teuren technischen Nippes. Aufgrund des „Auftrags“ herrscht bei ARD und ZDF der Irrglaube, die Sender gehörten sich selbst.

Anstatt auf die Zeitungsverleger einzudreschen, wären die Sender gut beraten, ein realistisches Kerngeschäft zu definieren, zu dessen Finanzierung der „Beitragsservice“ nicht jährlich 22,54 Millionen Mahnverfahren anzetteln muss, davon 1,46 Millionen Zwangsvollstreckungen (Zahlen: 2016). ARD und ZDF werden kaum politische Verbündete finden, diesen Wahnsinn anzufeuern.

Und den Sendern sollte auch nicht egal sein, mit welchem Anspruch der Staat seine Hand über das öffentlich-rechtliche System hält: „Die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird dabei häufig mit dem Argument begründet, die individuelle Programmauswahl bedürfe einer Korrektur, weil viele Zuhörer und Zuschauer den Wert von Rundfunkprogrammen falsch einschätzten“, heißt es unumwunden volkserzieherisch in einer Bundestagsausarbeitung zum Kultur- und Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten aus dem Jahr 2006. Das klingt viel deutlicher nach Staatsfunk-Auftrag, als den Intendanten lieb sein kann.

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