"Tatort"-Kritik Im "Tatort: Auge um Auge" steckt ganz viel Stromberg

Der Dresdner Tatort kann nach einer unterirdischen Folge wieder Land gewinnen und überzeugt mit einem tragikomischen Krimi in der Versicherungs-Branche.

"Tatort"-Kritik: Im "Tatort: Auge um Auge" steckt ganz viel Stromberg
Foto: Gordon Muehle/Wiedemann & Berg/MDR/dpa

In der Versicherung ALVA (Firmenmotto: „Ihr Partner für ihre Sicherheit“) wird der Abteilungsleiter Heiko Gebhardt (Alexander Schubert) von einem Scharfschützen, mit der „Treffsicherheit eines Schützenkönigs“ vom gegenüberliegenden Gebäude aus erschossen. Die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) und ihr Chef Schnabel (Martin Brambach) befragen die Angestellten der Versicherung und finden sich in einem Geflecht aus Mitarbeiterintrigen und knallharter Firmenpolitik wieder. Auch unter den Versicherten finden sich schnell „renitente Kunden“, die als Verdächtige in Frage kommen.

 Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach, r) findet beim Verdächtigen Fabian Rossbach (Sascha Göpel) Hinweise auf Versicherungsbetrug.

Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach, r) findet beim Verdächtigen Fabian Rossbach (Sascha Göpel) Hinweise auf Versicherungsbetrug.

Foto: Gordon Muehle

Nachdem das Drehbuch des unterirdischen letzten Tatorts aus Dresden („Level X“) von Richard Kropf geschrieben war, hat bei der aktuellen Folge wieder Ralf Husmann („Stromberg“) übernommen. Gemeinsam mit Peter Probst hat er den neusten Fall von Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) in ein für ihn altbekanntes Milieu geschrieben: eine Versicherung. Und ja, der Tatort wirkt stellenweise tatsächlich wie eine Mischung aus Stromberg und einem klassischen Tatort. Einige Charaktere scheinen fast Eins-zu-eins aus der Büro-Comedyserie mit Christoph Maria Herbst übernommen zu sein. Die etwas naive Sekretärin Cordula Wernicke (Ramona Kunze-Libnow) hat starke Ähnlichkeiten mit Erika Burstedt (Martina Eitner-Acheampong) und Rainer Ellgast (Arnd Klawitter) geht als „seriösere“ Variante von Bernd Stromberg (Christoph Maria Herbst) durch, nur mit weniger Zoten. Und ja, diese Mischung funktioniert ganz ausgezeichnet.

Husmann gelingt es auch hier ein zum Schreien tragikomisches Büro-Ensemble aufzustellen. Hier wird gemobbt und intrigiert, versichert und verunsichert. Alles scheinbar auf Kosten der Kunden, doch ganz so schwarz/weiß lässt sich die Lage dann doch nicht betrachten. Auch unter den Versicherten gibt es schwarze Schafe, die möglichst hohe Entschädigungen aus der Versicherung herauspressen wollen, obwohl der Schaden dies gar nicht abverlangt.

Dieser differenzierte, nicht vorverurteilende Blick auf Themenfelder, die scheinbar nur eine schwarze oder weiße Sicht zulassen, gelingt dem Tatort auch in der Nebenhandlung. Es geht um Flüchtlinge und alte Computer und die Frage, wie man mit Beidem am besten umgeht. Stellvertretend für die beiden extremen Positionen krachen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Peter Schnabel (Martin Brambach) („Ich hab auch keine Inventarnummer und bin trotzdem hier.“) wiedeholt aneinander. Als Schnabels alter Computer an eine Flüchtlingsfamilie verschenkt wird, scheint die Situation zu eskalieren.

Henni Sielands Engagement in der Flüchtlingshilfe stellt sich mehr und mehr als Vorwand heraus, um sich nicht mit den eigenen privaten Problemen auseinandersetzen zu müssen und Schnabel, der wutbürgernde, alte, weiße Mann, wird mit dem Vorwurf konfrontiert „in allem Neuen und Fremden eine Verschlechterung zu sehen“ - und kann dem auch nichts entgegensetzen. Karin Gorniak (Karin Hanczewski) muss die Wogen glätten und ihre Kollegen wieder auf das Wesentliche trimmen: den Fall.

Diese beiden Handlungsstränge werden subtil miteinander verflochten und kommen sich nicht negativ in die Quere. Der gesellschaftspolitische Anspruch des Tatorts „Auge um Auge“ erdrückt nicht die kriminalistische Handlung. Den Machern gelingt es die komplizierten Sachverhalte — ob in Versicherungs- oder Flüchtlingsfragen — auf eine unterhaltsame und spannende Art und Weise zu verknüpfen und darzustellen. Trotz des pessimistischen Grundtenors des Tatorts (Versicherungen sind böse, Versicherte sind böse, Wutbürger sowieso, Gutmenschen auch), entsteht hier mit Witz und Humor ein kurzweiliges Vergnügen. Der Zuschauer wird nicht von der Negativität der Welt erschlagen, sondern gut Unterhalten. Dabei wird auf einen oberlehrerhaften Ton und Vorverurteilungen verzichtet. Der Dresdner Tatort ist wieder auf Kurs.

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