Die Heilige Familie und ihr mehrdeutiges Vaterbild

Schon die Heilige Familie ist von einem mehrdeutigen Vaterbild geprägt. Maria ist schwanger, Josef aber nicht der Vater. Heute setzt sich der Begriff der sozialen Elternschaft durch.

Düsseldorf. Es ist ein denkbar diffuser Konkurrent, mit dem es Josef, der Mann Marias, zu tun hat. Seine Frau ist schwanger, er aber nicht der Vater. „Denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist“, eröffnet ihm ein Engel im Traum. So wird die Geschichte zumindest im Matthäusevangelium erzählt. Josef fügt sich — und bleibt bei der schwangeren Frau, die er eigentlich schon verlassen wollte.

Die Heilige Familie und ihr mehrdeutiges Vaterbild
Foto: dpa

Später bei der Taufe des heranwachsenden jungen Mannes wird eine Stimme aus dem Himmel sagen: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Und der junge Mann selbst wiederum wird Gott seinen Vater nennen.

Josef, der Ziehvater, der Stiefvater, der Adoptivvater, verschwindet dagegen im Nirgendwo des biblischen Vergessens. Das pubertäre Aufbegehren seines Zöglings Jesus gegen dessen Mutter Maria und die jüngeren Brüder geschieht schon ohne Josefs Gegenwart. Als die einmal draußen stehen und mit Jesus sprechen wollen, brüskiert er sie, indem er über seinen Jüngern die Hand ausstreckt und sagt: „Sieh da, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!“

Über die Beziehung zwischen Josef und Jesus ist praktisch nichts überliefert. Immerhin: Beide waren Zimmermann, so berichten es die Evangelien. Irgendeine Prägung des Jüngeren durch den Älteren wird es also gegeben haben. Und das Verhältnis der beiden kann damit Anknüpfungspunkt sein für viele moderne Patchworkfamilien, die gerade an Weihnachten besonders im Spannungsfeld zwischen biologischer und sozialer Elternschaft stehen.

Denn die Pluralität der Lebensformen rüttelt nicht nur an dem tradierten Bild der Ehe, sondern auch der Familie. „Wo Kinder sind, das ist Familie“, hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler Anfang 2006 gesagt. Aber die denkbaren Ausprägungen dieser Familie werden vielfältiger.

Auch wenn die Kernfamilie mit beidseitiger biologischer Elternschaft noch den weitaus größten Anteil umfasst, nämlich etwa 70 Prozent: Daneben gibt es als Folge der Trennungen und Scheidungen eine stetig wachsende Zahl an Stieffamilien. Und den zahlenmäßig rückläufigen Adoptivfamilien stehen auf der anderen Seite immer mehr Pflegefamilien gegenüber, die vorübergehend oder dauerhaft Kinder anderer Eltern aufnehmen, meist vermittelt durch das örtliche Jugendamt. Zusätzlich führen neue Reproduktionstechnologien dazu, dass auch die Wege, Kinderwünsche zu realisieren, zunehmen — und mit ihnen die so genannten Reproduktionsfamilien, einschließlich gleichgeschlechtlicher Partner.

Die Frage, wer sich verantwortlich fühlt und wer verantwortlich ist für das Wohl der Kinder, lässt sich nicht länger allein mit leiblicher oder genetischer Abstammung erklären. „Die Blutsverwandtschaft jedenfalls, die bislang als ,vermutete biologische Abstammung’ ausschlaggebend für geltendes Recht war, bietet keinen festen Anker mehr für eine umfassende Definition von Elternschaft“, schreibt Karin Jurczyk, Leiterin der Abteilung „Familie und Familienpolitik“ am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Die jüngste Ausgabe seines Forschungsmagazins „Impulse“ widmet sich unter dem Titel „Mehr als Vater, Mutter, Kind“ komplett den Herausforderungen sozialer Elternschaft.

Natürlich hat es auch früher schon nicht leibliche Elternteile gegeben. Doch traten die in einer Partnerschaft eher an die Stelle eines verstorbenen Elternteils. Dieses Nacheinander von leiblichen und sozialen Eltern hat sich im Zuge der Pluralisierung der Lebensformen längst zu einem Nebeneinander entwickelt: Der leibliche Vater beispielsweise bleibt auch nach Trennung und Auszug in das Leben der Kinder eingebunden, in dem aber gleichzeitig ein möglicher neuer Partner der Mutter seine Rolle sucht. Bringt dieser zudem noch eigene Kinder in die neue Beziehung ein, wird das Geflecht erwachsener Bezugspersonen für die Kinder „im Pool“ immer komplexer.

Dieses Geflecht mit den unterschiedlichsten Erwartungen und Bedürfnissen zu handhaben, ist für die beteiligten Familien eine enorme Herausforderung. Das DJI kommt in einer vergleichenden Untersuchung der Familien von etwa 6600 Kindern zu dem Schluss, „dass die große Mehrheit der Eltern in allen Familienformen gut kooperiert, dass aber Eltern in einfachen und komplexen Stieffamilien etwas häufiger mit Problemen bei der Zusammenarbeit in der Erziehung konfrontiert sind als Eltern in Kernfamilien: Entscheidungen werden beispielsweise seltener gemeinsam getroffen und Diskussionen über die Erziehung enden etwas häufiger im Streit.“

Interessanterweise nähert sich die moderne westliche Gesellschaft mit ihrer Individualisierung, den Traditionsbrüchen und aufgesplitteten Partnerschaftsmodellen über die Idee sozialer Elternschaft bei der Kinderbetreuung wieder Erziehungsvorstellungen an, wie sie gerade in ländlichen Gebieten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas schon lange praktiziert werden: Nicht allein die biologischen Eltern übernehmen Verantwortung, sondern eine ganze soziale (Dorf-)Gemeinschaft.

Wie sehr es dabei der Vielzahl an Bezugspersonen gelingt, dem kindlichen Bedürfnis nach Verlässlichkeit und Sicherheit nachzukommen, hängt stark vom Vertrauen und der Kooperationsbereitschaft der Erwachsenen untereinander ab. Die sozialen Eltern sind in der Regel aber noch in der schwächeren Position, die ihrer gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung in vielen Fällen nicht entspricht.

Vereinfacht gesagt: Im täglichen Familien-Irrsinn zwischen Berufsanforderungen, Kinderversorgung und Haushaltspflichten sind sie mit ihrer Unterstützung willkommen. Aber wenn es um erzieherische Grundfragen und -entscheidungen geht, rücken sie oft wieder in die zweite Reihe, rechtlich ohnehin. Das kann auch ihre Beziehungen zu den Kindern labiler machen: Läuft es gut, werden soziale Eltern akzeptiert; gibt es Konflikte, wird die Beziehung schneller wieder infrage gestellt.

„Die Rechte und Interessen von leiblichen und sozialen Eltern und nicht zuletzt den Kindern in eine gute Balance zu bringen, ist allerdings keine leichte Aufgabe“, schreiben die stellvertretende DJI-Direktorin Sabine Walper und die Psychologin Ulrike Lux in ihrem Aufsatz „Soziale Elternschaft gestalten“. Nur die genetisch-biologische Elternschaft zu schützen, berge aber das Risiko unbegründeter Ungleichgewichte, „die den Aufgaben und Leistungen gelebter Elternschaft jenseits biologischer Abstammungsverhältnisse nicht gerecht werden“.

Nach deutschem Recht können maximal zwei Personen die elterliche Sorge innehaben. Die Anerkennung sozialer Eltern wird dabei in vielen Einzelfällen als sehr mangelhaft empfunden. In England ist es beispielsweise möglich, Elternverantwortung per Gerichtsentscheidung auch auf dritte Personen zu übertragen, wenn diese bereits seit längerer Zeit für das Kind sorgen und das dem Kindeswohl entspricht. Auch in den Niederlanden können Stiefeltern eine elterliche Mitsorge zugesprochen bekommen. In Deutschland liegen seit Sommer Empfehlungen für eine Reform des Abstammungsrechts vor.

Der speziellen Konstellation der Heiligen Familie wird auch diese Reform vermutlich nicht gerecht werden. Aber die Überlieferung zeigt: Ohne Josef wäre das Familienglück nur von kurzer Dauer gewesen. Als Herodes den von den drei Weisen gesuchten neugeborenen König der Juden beseitigen will, wird Josef wieder von einem Engel im Schlaf gewarnt. „Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten.“

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