Regierungsbildung Warum die neue GroKo noch lange nicht sicher ist

Auch nach der Einigung von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag ist noch lange nicht sicher, ob eine neue Bundesregierung gebildet werden kann - aus Gründen, die demokratietheoretisch fragwürdig sind. Eine Analyse von Hagen Strauß.

Regierungsbildung: Warum die neue GroKo noch lange nicht sicher ist
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Berlin. Alles hat ein Ende, nur die Regierungsbildung in Deutschland nicht. Auch nach der Einigung von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag (>>>zum Liveblog mit Stimmen aus der Region) ist noch lange nicht sicher, ob eine neue Bundesregierung gebildet werden kann. Das hängt jetzt von genau 463.723 SPD-Mitgliedern ab, denen das Schicksal des Landes in die Hand gegeben wird. Demokratietheoretisch ist das fragwürdig, weil in den nächsten Wochen eine eher kleine Gruppe ein klares Ergebnis der Bundestagswahl - dazu gehört eine mögliche Mehrheit für die GroKo nun mal - auf den Kopf stellen kann. Wenn sie denn will.

Ob es so kommen wird, ist nach wie vor offen. Die SPD-Führung kann sich ihrer Basis jetzt jedenfalls als strahlender Sieger der Koalitionsverhandlungen präsentieren. Andrea Nahles hat Wort gehalten: verhandelt wurde, bis es „quietscht“. Die Genossen haben mit Finanzen, Arbeit und Außen wichtige Schlüsselressorts erhalten, die zu einem großen Teil die inhaltliche Richtung der Koalition in den nächsten dreieinhalb Jahren prägen werden. Mehr kann man als 20-Prozent-Partei nicht herausholen.

Das macht auch wett, dass sich die SPD bei der Bürgerversicherung oder der sachgrundlosen Befristung nicht vollends durchsetzen konnte. Nun darf die SPD-Spitze den Fehler, den sie nach den Sondierungen begangen hat, nicht wiederholen: Die Ergebnisse zu zerreden, schlecht zu machen oder gänzlich in Frage zu stellen. So überzeugt man keine kritische Mitgliedschaft für eine neue GroKo.

Blickt man auf die Union, hat dort schon die Debatte begonnen, ob man der SPD nicht zu viele Zugeständnisse gemacht hat. In der Tat ist es so, dass von den Unionsparteien einzig die CSU zufrieden sein kann. Sie hat mit dem Innenministerium ein Ressort bekommen, mit dem sie die Flüchtlingskanzlerin Angela Merkel künftig stärker an die Kandare nehmen kann. Das wollte die CSU immer. Nebenbei kann Parteichef Horst Seehofer galant nach Berlin abgeschoben werden. Für die CDU bleiben als zentrale Ressorts wie gehabt Verteidigung und neuerdings Wirtschaft, das Peter Altmaier, Merkels Allzweckwaffe, übernimmt. Wohl in der Hoffnung, mit dem Ressort und dem Saarländer an der Spitze wieder eine verschüttgegangene Kernkompetenz schärfen zu können. Freilich hat die CDU insgesamt mehr Einfluss in der Regierung abgegeben als dazu gewonnen. Die zwölf Prozent mehr bei der Bundestagswahl als die SPD spiegeln sich im Koalitionsgefüge nicht wider. Die Christdemokraten sind somit die Verlierer der Verhandlungen. Sie haben hohe Preise dafür bezahlt, Merkel die Kanzlerschaft zu sichern.

Der Koalitionsvertrag an sich ist keine Revolution, aber er ist auch nicht nur ein Sammelsurium der Phrasen und Absichtserklärungen. An vielen Stellen ist er konkret und von der Absicht geleitet, die Lebensrealitäten vieler Menschen zu verbessern. Die soziale Komponente ist dank der SPD klar in dem Papier erkennbar, während die Union zumindest Akzente in Steuer- und Finanzfragen setzen konnte. Richtig ist auch, dass die potentiellen Partner klare Prioritäten bei Bildung und Digitalisierung setzen wollen. Das wollte man freilich auch schon in der letzten Legislaturperiode — Papier ist eben geduldig.

Nicht alles steht überdies in Koalitionsverträgen - erinnert sei an die Flüchtlingskrise, das Euro-Desaster oder den Atomausstieg. Wichtiger wird dann, dass die Bürger darauf vertrauen, dass die handelnden Politiker bei nicht absehbaren Herausforderungen einen gemeinsamen Kompass haben und sich nicht im Kleinklein zerreiben. Dieses Vertrauen in Union und SPD fehlt noch. Es ist angesichts der Art und Weise des Koalitionspokers in den letzten Tagen nicht größer geworden.

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