WM 2018 in Russland Deutscher WM-Kader 2018: Jogi Löws Überraschungen für Russland

Der Bundestrainer nominiert 27 Spieler in seinen vorläufigen WM-Kader. Ohne Götze und Wagner, dafür mit Petersen und Brandt.

 Das DFB-Betreuerteam Miroslav Klose (l-r), ehemaliger Nationalspieler, Thomas Schneider, Co-Trainer der Fußball-Nationalmannschaft, Bundestrainer Joachim Löw, Torwarttrainer Andreas Köpke, Assistenztrainer Marcus Sorg und Oliver Bierhoff, Nationalmannschaftsmanager stehen nach der Pressekonferenz auf der Bühne.

Das DFB-Betreuerteam Miroslav Klose (l-r), ehemaliger Nationalspieler, Thomas Schneider, Co-Trainer der Fußball-Nationalmannschaft, Bundestrainer Joachim Löw, Torwarttrainer Andreas Köpke, Assistenztrainer Marcus Sorg und Oliver Bierhoff, Nationalmannschaftsmanager stehen nach der Pressekonferenz auf der Bühne.

Foto: Federico Gambarini

Dortmund. Spätestens als der DFB am Dienstag im Dortmunder Fußballmuseum einen digitalen Stanislav Tschertschessow aus Moskau auf die Bühne holte, hatte Joachim Löw zur Lockerheit zurückgefunden. Eifrig plauderte der 58-Jährige mit seinem ehemaligen Torhüter vom FC Tirol, der heute russischer Nationaltrainer ist. Es war wohl der Versuch, ein wenig Lockerheit in das deutsch-russische Verhältnis zu bringen. Mit Geschichten aus dem Fußball — und nicht in dem ständig plagenden Gefühl, nur noch als Bewältiger politischer Konflikte unterwegs sein zu müssen. „Uns ist die Begegnung mit den Menschen wichtig“, hatte DFB-Manager Oliver Bierhoff schon vorher jovial gesagt, als Erdogan und Putin durch den Raum schwebten, ohne eigentlich vor Ort zu sein. Aber wer konnte sich angesichts der technischen Möglichkeiten an diesem Tag da schon ganz sicher sein. Politik? Nein, danke. „Soll der Sport jetzt die politischen Probleme lösen?“ fragte Bierhoff. Zeit für Nachfragen blieb gerade nicht.

(Bundestrainer Joachim Löw (r) steht während einer Pressekonferenz neben dem russischen Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow der per Videoübertragung zugeschaltet wurde. Foto: Ina Fassbender/dpa)

Er will es zumindest nicht, könnte man antworten. Es war an diesem Mittag im Dortmunder Fußballmuseum abseits von Devotionalien wie Kahns Trikots, Seelers Bällen und dem DFB-Bus im Rücken der eigens aufgebauten Bühne jederzeit das Bemühen zu erkennen, den Sport in den Vordergrund zu rücken.

Seine ganz eigenen Konflikte hatte Löw in der Stunde zuvor zu erklären. Die Nominierung seines 27-köpfigen Kaders war mit Spannung erwartet worden, am Ende bilanzierte man Überraschungen, die leicht auf den Punkt zu bringen sind, wenn man von logischen Nominierungen absieht: Emre Can, Sandro Wagner und Mario Götze sind nicht dabei, dafür aber der verletzte Torwart Manuel Neuer, die Leverkusener Jonathan Tah und Julian Brandt, Marco Reus und Mario Gomez — und vor allem Nils Petersen vom SC Freiburg.

Puh, da atmete der Saal einmal durch, weil vor allem die Entscheidung für Petersen und gegen Wagner überraschte, spielte doch zuletzt ständig Wagner eine Rolle im Nationalteam — und Petersen eben nicht, der mit keinem Länderspiel in die WM-Vorbereitung geht. „Es ist keine Entscheidung gegen Sandro, sondern eine für Mario Gomez und Petersen“, sagte Löw, und danach fragte man sich, wie Wagner das in den kommenden Tagen wohl kommentieren wird. Von Petersen überrundet worden zu sein, das ist hart. Und wie man Löw kennt, wird Wagner nach der WM nur dann noch eine Chance bekommen, wenn er jetzt die Füße still hält. Von Petersen, sagte Löw, erwarte er sich viel. „Er hat in Freiburg, wo die Mannschaft nicht viele Chancen herausspielt, 15 Tore geschossen und ist auch als Joker gefährlich. Er könnte mit den Aufgaben noch wachsen.“ Auf der Empore im Fußballmuseum lächelte am Dienstag derweil David Odonkor vor sich hin, der der Petersen von 2006 gewesen war. Ein bisschen Überraschung geht halt immer.

(Der vorläufige Kader der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die Fußball WM in Russland: (Obere Reihe v.l) Joachim Löw, Bundestrainer, Kevin Trapp, Manuel Neuer, Marc-Andre ter Stegen, Bernd Leno, Joshua Kimmich und Julian Brandt. (Zweite Reihe v.l) Jerome Boateng, Matthias Ginter, Jonas Hector, Marvin Plattenhardt, Antonio Rüdiger, Jonathan Tah und Sebastian Rudy. (Dritte Reihe v.l) Mats Hummels, Mesut Özil, Niklas Süle, Julian Draxler, Ilkay Gündogan, Sami Khedira und Leon Goretzka. (Untere Reihe v.l) Toni Kroos, Thomas Müller, Marco Reus, Leroy Sané, Timo Werner, Nils Petersen und Mario Gomez. Foto: -/dpa)

Frustriert wird auch Mario Götze am Vorabend die Nachricht des Bundestrainers erhalten haben, im Sommer urlauben zu können. Götze war einer der Lieblinge Löws, über Jahre schwärmte der vom Potenzial seines WM-Helden von Rio, eine Nominierung aber hätte das Leistungsprinzip aber wohl ad absurdum geführt. „Es war nicht seine Saison, nicht die Form, die er normalerweise bringen kann. Er hat eine wahnsinnige Qualität“, sagt Löw. „Ich hoffe, dass er nach der Sommerpause einen ganz anderen Beginn hat. Es tut mir für ihn persönlich ein bisschen leid.“

Emre Can vom FC Liverpool kam für eine Nominierung gar nicht infrage, weil er seit vielen Wochen gar nicht mehr trainiert habe, befand Löw kurz und knapp. Das gilt zwar und erst recht auch für Manuel Neuer, aber für den Kapitän gelten Sonderregeln. Detailliert ging Löw auf die Entscheidungsfindung im Falle des Welttorhüters ein, unter dem Strich steht: Neuer trainiert voll belastbar, er geht mit ins Trainingslager und soll die Testspiele bestreiten, zur endgültigen Nominierung des 23er-Kaders durch den Bundestrainer muss dann eine abschließende Entscheidung fallen. „Wir haben die Chance, ihn in den nächsten Tagen zu beurteilen. Wir wissen um die Verantwortung, die wir haben gegenüber der Mannschaft und den Fans“, sagte Löw. „Nach Südtirol werden wir offen und ehrlich reden. Ist es möglich für ihn zu spielen? Ohne Spielpraxis kann einer natürlich nicht ins Turnier gehen.“ Ob er als die Nummer eins nach Russland fahre, wenn er fit wirke? Löw sagte: „Er ist unser Kapitän, wir versuchen alles.“ Bereit stehen Leno, ter Stegen und Trapp.

Alles versucht hat auch der DFB, die zweifelsfrei erfolgreiche Ära seines Bundestrainer rechtzeitig vor der WM zu verlängern. So wurde am Dienstag in Dortmund Löws neuer Vertrag bis 2022 — dann also bis zur WM in Katar — unterzeichnet, der zuvor Gültigkeit bis zur paneuropäischen EM 2020 hatte. Mit Löw verlängert das gesamte Trainerteam mit Thomas Schneider, Marcus Sorg, Torwarttrainer Andreas Köpfe seine Verträge, Teammanager Oliver Bierhoff soll dem DFB gleich bis 2024 erhalten bleiben. Man darf das Konstanz nennen: Löw ist seit 2006 allein verantwortlich für die DFB-Elf, 2022 dann also im 16. Jahr.

So wird der Bundestrainer noch des öfteren Gelegenheit bekommen, einem eher unerfreulichen Part seiner Arbeit nachzugehen: „Manchmal muss ich auch Träume platzen zu lassen — das ist mein Job. Das richtet sich nie gegen einen Spieler, sondern ist immer im Sinne des Gesamterfolgs.“

In diesem Sinne nominierte Löw den Mönchengladbacher Matthias Ginter, aber auch Marco Reus, der zum ersten Mal bei einer WM dabei sein wird, weil er zuvor meist verletzt war. Reus sei mit einer besonderen Gabe ausgerüstet, sagte Löw und bezeichnete den einzigen Dortmunder im Kader als „eine besondere Waffe“: mit starkem Abschluss, einem Gefühl für Räume. „Er steht für uns für außergewöhnliche Dinge“, so Löw, der auch Leverkusens Abwehrspieler Tah lobte, der wiederum einst für Fortuna Düsseldorf in der 2. Liga gekickt hat: „Er hat sehr große Fortschritte gemacht, ist auch in der Spielauslösung stark verbessert. Er war schon 2016 bei der EM dabei. Seine vorläufige Nominierung ist absolut gerechtfertigt“, entschied Löw und befand am Ende seiner Ausführungen, dass man natürlich Weltmeister werden wolle. Mit neun Weltmeistern von 2014, 14 Confed-Cup-Teilnehmern von 2017 und fünf Spielern jenes Teams, das bei Olympia in Brasilien dabei war.

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