Asylstreit in der Union Seehofer: CDU hat 2015 Spaltung Europas herbeigeführt

Berlin (dpa) - Im Streit über eine schärfere Asylpolitik weist CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer Kritik aus der CDU-Spitze zurück - und erhebt seinerseits schwere Vorwürfe gegen die Schwesterpartei.

Asylstreit in der Union: Seehofer: CDU hat 2015 Spaltung Europas herbeigeführt
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Nicht seine CSU, sondern die CDU sei es gewesen, „die mit der Flüchtlingsentscheidung 2015 die Spaltung Europas herbeigeführt hat“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“.

Seehofer reagierte damit auf einen Brief von CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer an die CDU-Mitglieder. Sie warnt darin davor, dass die von Seehofer geforderten Zurückweisungen an der Grenze von bereits im EU-Ausland registrierten Asylbewerbern die Gefahr bergen, „Europa weiter zu spalten und zu schwächen“. Im Krisenjahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, waren rund 890.000 Migranten weitgehend unkontrolliert nach Deutschland eingereist.

Seehofer sagte dem Blatt weiter zu Kramp-Karrenbauers Brief: „Frau Kramp-Karrenbauer stellt uns als Provinzfürsten aus Bayern hin, die die europäische Idee nicht verstanden haben.“

Der Asylstreit zwischen Merkel und Seehofer war am Donnerstag eskaliert. Die CSU hat der Kanzlerin quasi eine Frist bis Montag gesetzt, um auf ihre Linie einzuschwenken. Andernfalls will Seehofer im nationalen Alleingang auch Migranten zurückweisen, die in einem anderen Land ihren Asylantrag gestellt haben. Das lehnt Merkel strikt ab. Ein Kompromiss ist derzeit nicht in Sicht.

Angesichts der Zerreißprobe von CDU und CSU hat die SPD die Koalitionspartner ermahnt, wieder zu einer sachlichen Regierungspolitik zurückzukehren. Zugleich machte SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Freitag in Berlin deutlich, dass in der Flüchtlingspolitik nur mit Europa für Deutschland eine vernünftige Lösung gefunden werden könne. „Schlechterdings ist eine Lösung im Alleingang nicht denkbar und auch nicht sinnvoll.“

Damit stellte sich Nahles im unionsinternen Streit um die verstärkte Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze auf die Seite von Kanzlerin Merkel und übte heftige Kritik an der CSU. Merkel strebt eine europäische Lösung an und will diese auf dem EU-Gipfel Ende des Monats ausloten.

Einen Tag nach dem Eklat in der Unionsfraktion - als CDU und CSU erstmals seit langem getrennt tagten - blieben die Fronten zwischen den Schwesterparteien verhärtet. Allerdings bemühten sich beide zumindest um verbale Deeskalation. Der stellvertretende Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Hans Michelbach, sagte RTL: „Wir wollen nichts eskalieren lassen. Es geht uns um die Sache.“

Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende von der CSU, Hans-Peter Friedrich: „Die Regierung wird an solchen vernünftigen Dingen nicht zerbrechen. Der Bundesinnenminister hat eine Ressortverantwortung, die wird er wahrnehmen.“ Und: „Es gibt keinen Grund, von dieser Haltung auch nur ein Jota abzuweichen.“

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hält eine Einigung weiter für möglich. „Ich bin davon überzeugt, wir können zu einer gemeinsamen Lösung kommen - unter der Voraussetzung, dass alle konstruktiv und mit Einigungswillen an die Aufgabe herangehen.“

Merkel hielt an ihrer Position fest. Sie habe „einen Vorschlag gemacht, und an dessen Umsetzung arbeitet sie jetzt“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. „Wir brauchen Lösungen in enger Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen Staaten.“

Seehofer will an den deutschen Grenzen künftig Asylbewerber zurückweisen, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind. Die Gegenseite unterstellt auch parteitaktische Motive: Am 14. Oktober wird in Bayern gewählt - die CSU fürchtet, Stimmen an die AfD zu verlieren.

An diesem Montag will Merkel mit dem neuen italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über die Flüchtlingspolitik reden. Am Dienstag kommt dann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu deutsch-französischen Konsultationen nach Meseberg, um den EU-Gipfel am 28. und 29. Juni vorzubereiten.

Nahles sagte weiter: „Wir lassen es ... nicht zu, dass die Panik der CSU-Landesregierung hier ganz Deutschland und Europa in Geiselhaft nimmt.“ Die Koalitionspartner sollten „das Wochenende nutzen, um sich wieder auf eine sachliche und auf eine kooperative Ebene zu begeben, sowohl was das Binnenverhältnis angeht zwischen den beiden Koalitionspartnern selbst als auch innerhalb dieser Bundesregierung“.

Die CSU sieht die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite - und wird darin vom jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ bestärkt. Danach sind 62 Prozent der Bürger dafür, Flüchtlinge ohne Papiere nicht einreisen zu lassen. 86 Prozent befürworteten zudem eine konsequentere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Die Infratest-dimap-Umfrage wurde bereits am 11./12. Juni geführt - vor der Eskalation des Unionsstreits.

Die Zurückweisungen an der Grenze sollen Teil eines „Masterplans Migration“ sein. Das Innenministerium erläuterte, dass es um Abweisungen von Flüchtlingen gehe, die in der Fingerabdruckdatei Eurodac registriert sind - und zwar sowohl, wenn sie in einem anderen EU-Land schon einen Asylantrag gestellt haben, als auch nach einem reinen Grenzübertritt in ein anderes EU-Land.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigte am Donnerstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ das Vorgehen der CSU. Wenn man den Satz ernst nehme, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe, brauche man eine grundlegende Veränderung - und dazu gehöre die Sicherung der Grenzen.

Der Bundestag verabschiedete unterdessen die Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge. Das Gesetz der großen Koalition sieht vor, dass auch Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus vom 1. August an wieder engste Familienangehörige zu sich nach Deutschland holen können. Pro Monat sollen aber insgesamt nur 1000 Angehörige einreisen dürfen. Derzeit ist der Nachzug für diese Flüchtlingsgruppe ausgesetzt - bis auf wenige Härtefälle.

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