Aufmarsch in Chemnitz Politik nach Machtdemonstration rechter Gruppen alarmiert

Chemnitz (dpa) - Karl Marx hat in Chemnitz wieder einen freien Blick auf seine Stadt. Zwei Tage dominierten rechte Gruppierungen, gewaltbereite Hooligans und Neonazis die Innenstadt zu Füßen der übergroßen Schädelskulptur des kommunistischen Vordenkers.

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Heute kehrte langsam Ruhe ein. Normalität ist das für Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch nicht. „Es steht zu erwarten, dass auch in der kommenden Zeit versucht wird, in Chemnitz solche ähnlichen Aufmärsche zu organisieren“, sagte der CDU-Politiker. Schon am Donnerstag, wenn er zum Sachsengespräch genannten Bürgerdialog in die Stadt kommt, erwartet ihn eine Demonstration, die wieder die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz angemeldet hat.

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Rechtsextreme hatten eine Bluttat am Rande des Stadtfestes für ihre Zwecke instrumentalisiert und waren an zwei Tagen wie in einer Machtdemonstration durch die Innenstadt gelaufen. Am Montagabend standen 6000 Demonstranten aus dem eher rechten Spektrum, darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans, etwa 1500 Gegendemonstranten gegenüber - dazwischen knapp 600 Polizisten. Mindestens 18 Demonstranten beider Lager und zwei Polizisten wurden verletzt.

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte die rechtsextremen und ausländerfeindlichen Übergriffe scharf. Er teile die Trauer über den Tod eines Chemnitzer Bürgers, sagte er am Dienstag. „Aber die Erschütterung über diese Gewalttat wurde missbraucht, um Ausländerhass und Gewalt auf die Straßen der Stadt zu tragen.“ Gewalt müsse geahndet werden, sagte Steinmeier weiter, egal von wem sie ausgehe, tätliche Angriffe ebenso wie Volksverhetzung.

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Alle Menschen in Deutschland müssten darauf vertrauen können, dass Polizei und Justiz entschlossen handelten und keine Rechtsbrüche zuließen. „Lassen wir uns nicht einschüchtern von pöbelnden und prügelnden Hooligans. Lassen wir nicht zu, dass unsere Städte zum Schauplatz von Hetzaktionen werden. Hass darf nirgendwo freie Bahn haben in unserem Land.“

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Auslöser war eine tödliche Auseinandersetzung in der Nacht zu Sonntag zwischen Deutschen und Ausländern. Ein 35 Jahre alter Deutscher starb. Gegen einen Syrer und einen Iraker wurden Haftbefehle erlassen. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar.

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Zur Demonstration am Montagabend von Pro Chemnitz waren nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz Hooligans und Rechtsextremisten aus ganz Deutschland angereist. Es sei überregional vor allem über soziale Netzwerke mobilisiert worden und habe überregionale Anreisebewegungen gegeben, sagte Behördensprecher Martin Döring. Den Kern hätten sächsische Rechtsextremisten gebildet. Die Szene in Chemnitz um die Hooligan-Gruppen „Kaotic“ und „NS-Boys“ sei virulent und mobilisierungsstark.

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Der Zentralrat der Juden zeigte sich bestürzt über die Eskalation in Chemnitz. „Erschreckend viele Menschen“ hätten keine Hemmungen, „aufgrund von Gerüchten regelrecht Jagd auf bestimmte Gruppen zu machen und zur Selbstjustiz aufzurufen“, sagte Präsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Vorfälle dieser Art gibt es gerade in Sachsen so häufig, dass wir nicht von einem Einzelfall sprechen sollten.“ Ausreichender Polizeischutz sei wichtig. „Dass die Polizei in Chemnitz auch am Montag offenbar nicht richtig vorbereitet war, kann ich nicht nachvollziehen.“

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Sachsens Landespolizeipräsident Jürgen Georgie wehrte sich gegen den Vorwurf, die Polizei sei mit zu wenig Personal präsent gewesen. Man habe zwar die ursprüngliche Prognose von 1500 Demonstranten auf beiden Seiten im Laufe des Tages verdoppelt, allerdings seien dann weit mehr Teilnehmer gekommen als geschätzt.

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Laut Georgie standen rund 600 Polizisten 6000 Menschen auf der Rechten-Demo und 1000 Gegendemonstranten gegenüber. Ministerpräsident Kretschmer, der selbst nicht in Chemnitz gewesen war, verwies auf das Resultat. „Ich sehe das Ergebnis. Das Ergebnis stimmt.“ Zugleich kündigte er ein entschiedenes Vorgehen gegen Stimmungsmache im Internet an.

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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte, es gebe in einem Rechtsstaat keinen Platz für Hetzjagden auf Ausländer. „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“ Außenminister Heiko Maas (SPD) nannte die Ausschreitungen unerträglich. Innenminister Horst Seehofer (CSU) bot der sächsischen Polizei Hilfe an.

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Bundesfamilienministerin Franziska Giffey kündigte an, am Freitag nach Chemnitz zu fahren und dort auch mit Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (beide SPD) zu sprechen: „Gerade in Ostdeutschland ist es wichtig, dass wir die Menschen stärken, die Haltung und Rückgrat beweisen.“

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Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier kritisierte das Vorgehen von Politik und Polizei in Sachsen scharf. „Am ersten Tag kann man vielleicht noch überrascht werden — am zweiten Tag nicht mehr“, sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) warnte davor, die Attacken der Rechtsextremen kleinzureden. „Keine Beschwichtigungen, keine Relativierungen“, mahnte er auf seinem Facebook-Account und schrieb weiter: „Unser Land gehört nicht dieser verblendeten nationalistischen, fremdenfeindlichen, tumben Minderheit, die in Chemnitz ihre denkbar hässlichste Fratze gezeigt hat.“

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Derweil wurde auch zwei Tage nach der tödlichen Gewalttat des 35 Jahre alten Opfers gedacht. Einige Menschen hielten an dem Ort der Tat in der Innenstadt inne, andere legten Blumen ab. Inmitten der Blumen und Grabkerzen stand ein gerahmtes Bild des getöteten Mannes.

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